Der Nominierte 2015 war in zahlreichen Ländern als Fußballtrainer aktiv. Mit uns spricht er über seine Stationen, seine Eindrücke und Persönlichkeiten aus dem Sport, die er auf seinem Weg kennengelernt hat.
Herr Krautzun, vielen Dank, dass wir Sie auf Ihrer China-Reise begleiten dürfen und herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für den Award „Deutscher Fußball Botschafter 2015“. Sie waren erstmals 2003 im Land der Mitte aktiv – wie hat sich der chinesische Fußball seither verändert?
EK: Seit Mai 2014 nahm das Ministerium für Erziehung und Sport mehr Einfluss auf den Schulfußball und die Jugendentwicklung. Das ist ein Lichtblick, denn der chinesische Verband, die CFA, hatte es allein nicht geschafft. Durch diese Unterstützung hat der Fußball nun die Möglichkeit erfolgreicher zu sein. Nun haben auch die Funktionäre der CFA neue Visionen und Pläne z.B. den Schulfußball und das Jugendausbildungssystem voranzutreiben. Das hätte schon lange passieren müssen, denn die Zukunft liegt in einem gut organisierten und strukturierten Jugendsystem.
Der Profibereich ist inzwischen besser aufgestellt und weist erste Erfolge auf – auch wegen der Sponsoren. Einige Vereine sind nach europäischem Vorbild aufgestellt, zudem haben sich strukturierte Fußballschulen in den Proficlubs mit erfahrenen Trainern etabliert, ähnlich unseren Jugendleistungszentren in Deutschland.
Leider ist Standard und Qualität der Profiliga insgesamt zu schwach, da es nach wie vor weder eine organisierte und gut strukturierte Trainerausbildung noch ein Lizenzierungssystem gibt. So fehlen auch die Erfolge der Auswahlmannschaften.
Sie sind seit über 40 Jahren im Fußball unterwegs und haben viele Länder, Kulturen und Menschen kennengelernt. Was macht den Job aus?
EK: Der Job ist vielseitig und nicht „nur Fußball“. Gerade wenn man im Ausland ist, hat man viel mit anderen Mentalitäten, Kulturen und Traditionen zu tun. Das Schönste sind die kleinen Begegnungen – als ich z.B. nach 30 Jahren in die Philippinen zurück kam wurde ich dort immer noch erkannt, ich wurde umarmt und mir wurde als Fußballbotschafter hohes Ansehen entgegengebracht.
Eine Ihrer ersten Auslandsstationen war von 1970-1974 das Amt als Nationaltrainer von Kenia. Wie haben Land und Fußball zu dieser Zeit erlebt?
EK: Ein typisches Beispiel: wir haben mit dem Gewinn des Ostafrikapokals sportlich einiges erreicht; doch viel bedeutender war, dass es gelungen ist unterschiedliche Stämme, wie die Luos oder Abaluyahs, aber auch die muslimischen Gruppen an der Küste Kenias zu gemeinsamen Handeln und einheitlichem Denken zu bewegen und dadurch eine Einheit zu bilden. Dies wurde auch vom Parlament und der Deutschen Botschaft sehr honoriert. Sozialpolitisch steht das viel höher als die Erfolge auf dem Fußballplatz.
Ein weiteres Engagement hatten Sie Anfang der 80er in den USA bei den Fort Lauderdale Strikers. Was war dort das Besondere?
EK: Für mich als Trainer war es hochinteressant, da es die Zeit und der Beginn des Aufbruchs des Profifußballs war (Start der Liga NASL, die Red.). Dazu die Zusammenarbeit mit ehemaligen Weltklassespielern wie die südamerikanischen Spieler des Jahres Elias Figueroa (2x) und Theofilo Cubillas (1x), aber auch Brian Kidd oder die Deutschen Gerd Müller und Bernd Hölzenbein.
Entscheidend für die Erfolglosigkeit der NASL war, dass fehlende Engagement bzw. Unterstützung der amerikanischen TV-Sender und dadurch auch das Abwenden und Desinteresse von den so wichtigen Sponsoren.
Wie haben Sie bei Ihren Auslandseinsätzen die Rolle als Botschafter des deutschen Fußballs wahrgenommen?
EK: Die Erwartungen an deutsche Instruktoren und Trainer waren schon immer enorm hoch. Der entscheidende Erfolgsfaktor ist die Anpassung an die Gegebenheiten und nicht als Allwissender aufzutreten. Neben Bescheidenheit gehört das Anerkennen der Kultur, Mentalität und Religion bzw. die entsprechende Einordnung dazu. Hauptfaktoren: Toleranz, Einfühlungsvermögen, Improvisationsfähigkeit und Stressfähigkeit. Wenn man mir dann in manchen Ländern der offizielle Botschafter sagte: „Hr. Krautzun, Sie sind hier eigentlich der Botschafter“, dann macht mich das stolz, denn dann war die Mission ein Erfolg.
Die weiteren Nominierten zum „Deutschen Fußball Botschafter 2015“ sind Jürgen Klinsmann und Michael Nees. Eine gute Wahl?
EK: Auf alle Fälle. Beide sind absolut berechtigt nominiert. Jürgen Klinsmann hat erst sehr viel für den deutschen Fußball getan und war dabei auch stets im Ausland Sympathieträger. Was er jetzt in den USA erreicht hat ist phänomenal und macht den Fußball dort salonfähiger und durch den Erfolg in Brasilien noch populärer.
Michael Nees kenne und schätze ich persönlich sehr, wir haben einen guten Kontakt. Er hat Herausragendes geleistet bei seinen Auslandsstationen. Davon konnte ich mir selbst ein Bild machen – nicht nur, weil ich bei seinen Lehrgängen in Südafrika (2012) auftreten durfte.
Sir Alex Ferguson ist ein guter Freund von Ihnen – wie haben Sie sich kennengelernt, was schätzen Sie an ihm?
EK: Kennengelernt haben wir uns vor 39 Jahren bei 2 Trainerlehrgängen in England, wo wir eine gemeinsame „Wellenlänge“ feststellten. Wir verfolgten daraufhin unsere Karrieren und nach einem Besuch in Schottland war die Basis gelegt für eine tiefe und ehrliche Freundschaft. Er ist nicht nur herausragender Trainer, sondern auch kulturell ein hoch interessierter Privatmensch mit enormen Allgemeinwissen, nie überheblich oder arrogant und mit einem einmaligen schottischen Humor gesegnet – ein sehr sympathischer Mensch, mit dem man sich wunderbar unterhalten kann.
Als Nominierter dürfen Sie entscheiden, welcher karitativen Einrichtung Ihr Preisgeld zu Gute kommen soll. Sie entschieden Sie sich für ein soziales Projekt des ehemaligen Nationalspielers Li Lingyu. Die Übergabe fand in Pekingim Beisein des ehemaligen CFA-Präsidenten Yan Shiduo statt. Was gab den Ausschlag für die Wahl?
EK: Die Foundation ist eine ausgezeichnete Idee, sowohl für die allgemeine Verbreitung des Jugendfußballs, als auch die interkulturelle Verbindung zwischen einzelnen Ländern. Zudem hat sich Herr Yan Shiduo enorm für die Fußballakademie in Bad Kissingen eingesetzt. Die Philosophie des positiven Austauschs zwischen Ländern möchte ich immer gern unterstützen – die empfinde ich in der angespannten Situation der heutigen Welt für besonders wichtig.
Maradona, Pele, Muhammed Ali – große Persönlichkeiten des Sports, die Sie allesamt kennengelernt haben. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
EK: Mit Maradona durfte ich während meiner Zeit bei Al Ahli in Saudi Arabien sogar noch kurze Zeit zusammen arbeiten. Am meisten imponiert hat mir aber Pele, der trotz seiner Stellung als Weltstar immer bescheiden und sympathisch geblieben ist. Fragen beantwortete er stets geduldig und ohne Allüren. Er ist einfach der ideale Mensch geblieben. Auch bei Muhammed Ali, den ich einmal in Kalifornien und auch bei einem Auftritt in Deutschland in den 80er Jahren, kennenlernen durfte beeindruckten mich Charakterstärke, sein Humor und seine Natürlichkeit. Er war privat ganz anders als bei seinem Verhalten im Boxring.
Es gibt in China zahlreiche Anfragen für Sie – dennoch wollen Sie sich zukünftig nicht mehr im Profifußballbereich der Erwachsenen, sondern nur noch in der Jugendausbildung und als Trainer rund Instruktor engagieren. Warum?
EK: Es ist für mich enorm reizvoll meine Erfahrungen weiterzugeben an die Jugendlichen bzw. ihre Trainer. Ab einem gewissen Alter ist der Profibereich auch einfach zu stressig, so ehrlich muss ich sein. Dazu kommen die Dankbarkeit junger Trainer und die lachenden und glücklichen Augen der Kinder bei einem schönen und spaßvermittelnden Training. Man ist eher Vater oder Freund, es ist ehrlicher und die menschlich verbindende Freude ist mit Geld nicht aufzuwiegen.
Wie ich zuvor bereits erwähnte besuchte ich im Auftrag des Auswärtigen Amts vor zwei Jahren wieder einmal die Philippinen. Dabei ging es um die Beurteilung der Fußballstrukturen dort für das Auswärtige Amt, DFB und DOSB als Entscheidungshilfe bzw. Expertise der sozialpolitischen Grundlage. Ich traf dabei auch Ex-Spieler von mir, die heute Trainer oder Funktionäre sind – es war sehr emotional, mit Umarmung und fast weinend. Das ist doch das Schönste: Freunde zu hinterlassen, bei denen das Ansehen und die Anerkennung auch nach Jahrzehnten noch geblieben sind.
Abschließend: was bedeutet Ihnen die Nominierung der Initiative Deutscher Fußball Botschafter?
EK: Die Nominierung ist für mich gleichermaßen Auszeichnung und hohe Ehre. Wenn ich die finale Wahl zum Botschafter am Ende sogar gewinnen sollte, wäre dies für mich die Krönung meiner fast 50-jährigen Trainerarbeit. Auch, weil Dettmar Cramer als Ehrenpreisträger 2013 bereits zu den Ausgezeichneten gehört – denn er war, neben Hennes Weisweiler, immer mein großes Vorbild!