„Das sind einige sehr beeindruckende Menschen, mit denen ich arbeiten durfte. Wegbegleiter, die ich zuvor nicht kannte, die aber in einmaliger Weise vertrauensvolle Loyalität gelebt haben.“
MICHAEL NEES IST SEIT MÄRZ 2013 ALS U-21 NATIONALTRAINER UND TECHNISCHER DIREKTOR FÜR DEN ISRAELISCHEN FUSSBALLVERBAND AKTIV. WIR TRAFEN DEN NOMINIERTEN FÜR DEN „DEUTSCHEN FUSSBALL BOTSCHAFTER 2015“ ZUM INTERVIEW IN TEL-AVI
In Afrika arbeiteten Sie unter anderem in Ruanda und Südafrika – was kann der Fußball bewirken in Ländern, die z.B. durch Bürgerkriege sozial gespalten sind?
MN: Fußball wird schon sehr lange im Rahmen des Nation Buildings eingesetzt. Er kann verbinden, kann konfliktvermeidend wirken und hat kollektiv-identitätsbildende Effekte. Erfolge schweißen zusammen und Niederlagen, richtig verarbeitet, auch. Wichtig ist allerdings, dass das Leistungsprinzip fair und mit Respekt angewendet wird und klare Regeln eingehalten werden, die zur Orientierung dienen. Natürlich ist auch Vorsicht geboten, denn der Fußball kann in dieser Hinsicht auch missbraucht werden, oder die Menschen können sich mit ihm überidentifizieren.
Sie sind seit März 2013 in Israel aktiv. Was sind hier Ihre Aufgaben? Können Sie uns einen Einblick in Ihren Alltag geben?
MN: Es gibt zwei maßgebliche Bereiche: den kurzfristigen des U21-Nationaltrainers und den mittel- bis langfristigen des Technischen Direktors aller U-National-Mannschaften. Als U21-Nationaltrainer sind dies neben dem Training und den Länderspielen während der FIFA-Perioden 20-30 zusätzliche Trainingstage jährlich mit Teambildung, Sichtung und die Heranführung an die A-Mannschaft. Als Technischer Direktor sind es zumeist inhaltlich-strukturelle Aufgaben. Beide Jobs zusammen habe ich in 15 verschiedene Kern-Tätigkeitsbereiche unterteilt, wie z.B. Training, Spielbeobachtung, Trainerfortbildung, Vereinsbesuche, usw.
Inwiefern belastet die politische Situation in Israel den Sport in den jüngsten zwei Jahren?
MN: Innerhalb der Mannschaft und des Stabs gibt es keine Probleme. Die werden meist eh nur von außen hereingetragen. Wichtig ist das in einem Mannschaftssport grundsätzlich das Ego abgelegt werden sollte und der Trainer nicht nach Herkunft, sondern nach Leistung sondiert.
Der DFB ist eine Kooperation mit dem israelischen Fußballverband eingegangen. Wie kann man sich diese Kooperation vorstellen?
MN: Sehr eng. Es gibt ein jährliches U18-Winterturnier in Israel mit Kranzniederlegung in der Holocaust-Gedenkstaette Yad Vashem, das allerdings dieses Jahr leider abgesagt wurde. Jedes Jahr ist unsere U17 beim DFB-Turnier „Komm mit“ in Deutschland dabei. Darüber hinaus Trainerausbildung, Austausch etc.. Die internationale Abteilung macht aus meiner Sicht einen ausgezeichneten Job beim DFB. Erstmalig findet dieses Jahr auch eine Elitefortbildung unserer U-Nationaltrainer bei der TSG Hoffenheim statt.
Woran liegt es, dass es bisher nicht mehr israelische Nationalspieler in große europäische Klubs geschafft haben?
MN: Der Unterschied ist nicht allzu groß, aber es fehlt weiterhin das gewisse Etwas an Athletik, taktischer Reife oder mentaler Stabilität, da haben europäische Topspieler weiterhin einen Vorsprung. Meist wirken israelische Junioren-Nationalspieler des gleichen Jahrgangs wie ein Jahr jünger. Dies hat auch mit fehlenden Finanzmitteln und daraus resultierenden Einschränkungen in der Elite-Nachwuchsförderung zu tun, besonders im letzten Ausbildungsabschnitt.
Wo lassen sich Strukturen noch verbessern – worin liegt derzeit der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
MN: Es gibt hauptsächlich zwei Bereiche, die kurzfristig strukturell und systematisch verbessert werden sollten. Erstens der physische Bereich in dem die Grundlagen der Junioren-Nationalspieler vereinheitlicht werden sollten. Ein Ansatz wären 50-60 aufbauende Übungen zusätzlich zum Vereinstraining. Zweitens haben wir keine Scouting- und Analyseabteilung in der die Gegneranalyse nach genauen Vorgaben durchgeführt wird. Da ist noch viel Potential.
Wie würden Sie den israelischen Fußball in drei Charakteristika beschreiben?
MN: Gute Balltechnik, großer Ehrgeiz, aber auch fehlende mentale Stabilität.
Was ist Ihnen während Ihrer nunmehr 18-jährigen Zeit als „Botschafter des Fußballs“ am meisten im Gedächtnis geblieben?
MN: Das sind einige sehr beeindruckende Menschen, mit denen ich arbeiten durfte. Wegbegleiter, die ich zuvor nicht kannte, die aber in einmaliger Weise vertrauensvolle Loyalität gelebt haben. Wenn gegebenes Vertrauen zurückgezahlt wurde, führte dies zu den außergewöhnlichsten Erlebnissen, und meistens auch zu äußerst positiven sportlichen Ergebnissen.
Gibt es ein Land, in dem Sie gerne noch etwas durch den Fußball bewirken möchten?
MN: Ich hatte bisher das Glück in tollen Ländern arbeiten zu können und war in unterschiedlicher Funktion in zwei Weltmeisterschaften eingebunden. Es gibt durchaus noch einige interessante Länder, wie z.B. Kanada oder Neuseeland, aber auch viele andere Länder weltweit. Man muss nur offen sein. Innerhalb der UEFA, zu der Israel gehört, sind die Distanzen relativ gering und der Fussball schon sehr professionell organisiert, was das Arbeiten enorm erleichtert. Doch bin ich seit meinem 29. Lebensjahr überwiegend international tätig – ich könnte mir durchaus auch vorstellen, wieder mal nach Deutschland zurückzukommen und dort eine neue Herausforderung anzunehmen. Insbesondere, da auch meine Kinder in einem Alter sind, wo der nächste Umzug wohl bedacht sein muss.
Was bedeutet Ihnen die Nominierung zum Award Deutscher Fußball Botschafter?
Ich empfinde das sowohl als Anerkennung meiner bisherigen Arbeit, als auch dem aktuellen positiven Wirken gemeinsam mit dem israelischen Fußballverband