Von Olaf Jansen | Sportschau.de | Stand: 06.01.2021, 08:00
Fußball ist Mädchensache – in mehr als 50 Ländern hat Fußballtrainerin Anja Zivkovic schon für diese Überzeugung geworben und gearbeitet. Jetzt wurde die Schwäbin für ihr Engagement ausgezeichnet.
Es sind diese scheinbar kleinen Momente, die Anja Zivkovic an ihrem Job liebt. 2012 in Palästina gab es so einen: Zum Abschluss eines Fußballprojektes hatte sie mit den Verantwortlichen vor Ort eine Art weibliches Fußball-Festival im Stadion von Ramallah organisiert. Während auf dem Rasen Mädchen gegeneinander spielten, wurden sie von den vollbesetzten Tribünen angefeuert. Und zwar ebenfalls von Mädchen, die für diesen Tag schulfrei bekommen hatten. „Dieser Moment, diese glücklichen jungen Fußballerinnen zu sehen, wie sie in geschütztem Rahmen bei ihrem Fußballspiel gefeiert werden – das war einfach toll“, erklärt Zivkovic.
Seit über zehn Jahren reist die gebürtige Schwäbin, deren Eltern aus Montenegro stammen, im Namen des Mädchen- und Frauenfußballs um die Welt. Sie arbeitet im Auftrag des DFB oder in den vergangenen Jahren zunehmend für die FIFA und die UEFA in fußballerischen Entwicklungsländern. Sie organisiert Lehrgänge, betreut Trainer-Ausbildungen, hilft bei der Realisation des Spielbetriebs. Alles im Namen des Mädchen- und Frauenfußballs. Jetzt erhielt die 43-Jährige vom Verein „Deutscher Fußballbotschafter e.V.“ die Auszeichnung für ihr Engagement: Sie wurde „Fußball-Botschafterin 2020“ – und damit Nachfolgerin von Jürgen Klopp, der 2019 Preisträger war.
Das Preisgeld geht nach Indien
Neben einer schönen Trophäe erhielt Zivkovic ein ordentliches Preisgeld, mit dem sie ein Mädchenfußball-Projekt in der indischen Region Haryana unterstützen wird. „In dieser Region haben es Mädchen besonders schwer“, sagt sie: „Dieses Projekt fördert gezielt den Mädchenfußball und organisiert mit bescheidenen Mitteln sogar Mädchenfußballturniere.“ Mit ihrem Engagement habe sie sich für ein positives Bild Deutschlands in der Welt eingesetzt, heißt es vom Preisverleiher.
Anja Zivkovic, die damals mit Nachnamen noch Palusevic hieß, war zehn Jahre jung, als sie zum Fußball fand. Zuvor hatte sie mit den Nachbarjungs in ihrem kleinen schwäbischen Heimatort Neustadt Handball gespielt, doch dann sah sie eines Tages das Mädchen-Fußballteam des TSV Neustadt beim Training. Und es stand gleich für sie fest: „Das will ich auch machen!“
Pubertät – und raus aus dem Fußball
Das Talent des kleinen Energiebündels trat bald zu Tage: Rasch wurde sie für die Verbandsauswahl nominiert und schaffte später sogar den Sprung zu den Lehrgängen der U16-Nationalmannschaft, für die sie auch ein Testspiel absolvierte. Mehr ging nicht – es fehlte der Tochter montenegrinischer Einwanderer zu jener Zeit der deutsche Pass.
Und dann kam die Pubertät. Und der Abschied vom Fußball. „Ich habe damals den Fußball kritisch hinterfragt“, sagt Zivkovic heute, „für mich war damals die Fußballszene insgesamt zu primitiv.“ Lieber begann sie neben ihrem Studium der Sozialpädagogie zu reisen. Sie schnallte sich den Rucksack auf den Rücken und trampte um die Welt, besuchte Länder wie Israel, Thailand, Marokko, Argentinien oder Brasilien.
Der Fußball öffnet die Türen
Und überall kam sie gut mit den Menschen in Kontakt. Und zwar über Fußball. „Ich fand in fast allen Ländern die Möglichkeit, mit den Menschen vor Ort gemeinsam zu spielen“, erklärt sie. Beispielhaft berichtet sie von einem Erlebnis im brasilianischen Ilheus Bahia, wo sie in Flip Flops am Rand eines Fußballplatzes saß und einem Jugendteam beim Training zuschaute. „Als ich einen wegrollenden Ball zurückkickte, meinte der Trainer ‚Hey, starker Pass‘, willst du mitspielen? Das hab ich natürlich sofort gemacht. So oder ähnlich ging es mir an vielen Orten“, sagt Zivkovic.
Dass sie dann auch beruflich wieder ernsthaft mit Fußball zu tun bekam, hing indes wesentlich mit Monika Staab zusammen. Zu jener Zeit beim Bayerischen Sportverband in einem Sozialprojekt beschäftigt, las sie im Internet über die ehemalige DFB-Trainerin bei einem ihrer Auslandseinsätze. Noch am gleichen Tag schrieb sie eine E-Mail an Staab. „Das möchte ich auch machen. Gibt es irgendeinen Weg?“, fragte sie, und Staab vermittelte sie an den DFB weiter.
Weltweit begehrte Ausbilderin
Der winkte erst einmal ab, sprach von fehlenden Trainerlizenzen. Aber Zivkovic hatte die Sache im Kopf und machte sich an die Arbeit. Erwarb die nötigen Trainerlizenzen und stellte sich erneut beim DFB vor. Und jetzt passte es: 2009 durfte sie als Co-Trainerin erstmals mit zu einem Projekt in Namibia. Sie half der erfahrenen Verbandstrainerin Margret Kratz und bewährte sich. Es folgte ein nächster Einsatz in Togo, das anschließende Projekt in Palästina leitete sie bereits eigenverantwortlich.
Mittlerweile ist Zivkovic eine weltweit begehrte Ausbilderin, bekommt viele Anfragen aus der gesamten organisierten Welt des Fußballs. Und immer geht es bei ihren Einsätzen um die Weiterentwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs. „Mich persönlich fasziniert der Nahe Osten, weil ich es sehr mutig finde, wie die Frauen sich dort in ihrer Kultur durchsetzen und allen familiären und gesellschaftlichen Barrieren trotzen“, sagt die Preisträgerin.
Titel sind nicht wichtig
Titelgewinne sind in ihrer Arbeit dabei eher zweitrangig: „Für mich war nie ausschlaggebend, wie hoch das zu erwartende fußballerische Niveau ist, sondern vielmehr wie viel Liebe und Leidenschaft investiert wird, um Fußball spielen zu können. Das ist eine ganz andere Welt im Vergleich zum deutschen Fußball.“
Zuletzt – vor Corona – war sie drei Monate für die UEFA in Indien im Einsatz. „Mein Auftrag lautete, herauszufinden, wo es noch strukturelle Probleme gibt und wie man Mädchen und Frauen den Zugang zum Fußball erleichtern kann. Ich habe mir angeschaut, wie die Trainer dort arbeiten, habe Trainerkurse durchgeführt und mit der Nationaltrainerin Trainingscamps geleitet.“
Homeoffice in Coronazeiten
Seit Corona steht alles still – zumindest großteils. Zivkovic arbeitet momentan online an diversen Projekten, zugleich versucht sie, ihre Kontakte sinnvoll zu nutzen: „Ich versuche, so gut es geht, auch nach meiner Arbeit mit Spielerinnen und den Menschen aus den Projekten in Kontakt zu bleiben. Zuletzt ist es mir zum Beispiel gelungen, eine Spielerin aus Indien nach Kanada zu vermitteln, die dort nun auf einem hohen Niveau spielt. So versuche ich, auch wenn ich nicht mehr vor Ort bin, noch Dinge anzuschieben.“
Quelle: https://www.sportschau.de/fussball/international/fussball-botschafterin-anja-zivkovic-100.html